Leopoldo Lipstein und die Musik sind eins
Wollte man die Interpretationskunst des Leopoldo Lipstein am vergangenen Sonntag (18. Dez. 2005) beim Kunst- und Kulturkreis mit einem Wort umschreiben, dann träfe wohl das Wort “brillant” am ehesten zu, denn Ausstrahlung, Glanz, Facettenreichtum und funkelndes Temperament – all das kann der argentinische Pianist wahrlich bieten.
Mit der einfachen Melodie eines französischen Volksliedes, uns als “Morgen kommt der Weihnachtmann” bekannt, ging’s los. Mozarts Variationen zu der anrührenden Schlichtheit dieser Tonfolge ließen erahnen, mit welcher Lust sich der Komponist seinerzeit darauf gestürzt haben mochte, um der Melodie mit viel Fantasie mal dramatisch-dynamische, mal rasante, mal schwelgend-träumerische, mal nachdenkliche, gar hintersinnige und schließlich spöttische Seiten abzugewinnen. Leopoldo Lipstein nun verfolgte diese Absicht des großen Mozart aufmerksam und vermittelte hier schon seine Souveränität am Flügel.
Brahms 16 Walzer, eine Herausforderung mit beachtlichen Schwierigkeiten, folgten. Lipstein zelebrierte hier geradezu die Walzerseligkeit, zieht diesen wiederkehrenden Moment, wenn die Hörer (und Tänzer) von der großen Woge des Elans mitgerissen werden, genussvoll hinaus, triumphiert sodann, verharrt in einem Seufzer des Glücks, um sich erneut in das drehende Schwingen zu stürzen. In solchen Augenblicken ist Lipstein ganz Musik. Seine Person verschwindet zugunsten einer akustischen Illusion.
Dabei überraschen die Brahms-Walzer durchaus mit ihrer Vielseitigkeit. Sie erzählen Geschichten sehr unterschiedlicher Art, die nicht nur voll des Glücks und der Lebenslust, sondern sogar melancholisch, leidvoll oder kämpferisch-entschlossen sein können: Variationen halt, wie sie das Leben bietet, wohl gerade in einer langen Ballnacht.
Zunächst schienen die drei Preludes von Gershwin da ganz anders zu sein und in einen swingenden Jazz zu gehen. Doch dann zeigte sich gerade die Kombination dieser drei Preludes, welche Höhen und Tiefen des Lebens hier durchschritten werden: die spielerische Leichtigkeit des ersten, der fast schon tragische Fatalismus des zweiten und die dynamische Lebenslust des dritten mögen eine Fingerübung für den virtuosen Lipstein gewesen sein, für die Zuhörer setzten sie das Thema “Variationen” auf reizvolle Art fort.
Eine permanente Spannung lag über de Fallas Tänzen und Liedern, die sich temperamentvoll anschlossen: zunächst verhaltend lauernd, dann insistierend beharrlich, um sich immer wieder zu einem erlösenden Gipfelpunkt hinzuarbeiten. Diese Lied-Tänze hatten schon etwas Theatralisches, denn Lipstein war sich der Effekte wohl bewusst, kam durchaus dem spanischen Klischee der Mischung von Stolz und Leidenschaft entgegen. Doch der Pianist inszenierte kräftig mit, ernst und rollenbewusst, ganz Nachdruck und gewissermaßen pathetisch. Kein Wunder, denn das Themenspektrum reichte vom Zauber über die Nachahmung, den Schrecken, das Irrlicht bis hin zur Magie und zum Feuer.
Zwei Zugaben forderte das begeisterte Publikum: ein spannendes, schwungvoll vorgetragenes Capriccio von Bach und einen temperamentvollen spanischen Tanz von Granados. Leopoldo Lipstein empfahl sich solcherart für ein viertes Konzert in Damme, dem man jetzt schon erwartungsvoll entgegenfiebern darf.
Pressemitteilung: Wolfgang Friemerding, 19.12.2005
Das Abendprogramm
Wolfgang Amadeus Mozart
Variationen KV 265 zu
Ah, vous dirai-je, Maman!
Johannes Brahms
Sechzehn Walzer op. 39
– Pause –
George Gershwin
Drei Preludes
Nr. 1 in B-Dur
Nr. 2 in Cis-moll
Nr. 3 in Ges-moll
Manuel de Falla
El amor brujo
(Der Liebeszauber)
Pantomima
(Pantomime)
Danza del terror
(Tanz des Schreckens)
Danza del fuego fatuo
(Tanzlied vom Irrlicht)
El circulo mágico
(Der magische Kreis)
Danza ritual del fuego
(Feuertanz)