Poetry Slammer Lars Ruppel zitiert Gedichte für Senioren
Bericht vom 20. Mai 2015
Lars Ruppel ist mehrfacher deutscher Meister im Poetry Slam. Neben seinen Bühnenauftritten verbringt er viel Zeit in Altenheimen. „Weckworte“ nennt sich das Projekt, mit dem er Alzheimer Patienten Lebensfreude schenkt. Im Mai war er zu Gast bei der Stifung Maria-Rast in Damme und trug gemeinsam mit Pflegekräften und Schülerinnen der Realschule Damme Gedichte für die Bewohner vor.
Der Projektnachmittag in Damme entstand in Kooperation der Organisationen Stiftung Maria-Rast, Realschule Damme und Kunst+Kultur-Kreis Damme e. V., die Lars Ruppel für einen Workshop und einen Abendauftritt in der Scheune Leiber gewinnen konnten.
Romy Saller nimmt die Hand der Seniorin und reimt: „Das schönste für Kinder ist Sand. Ihn gibt es immer reichlich. Er rinnt unvergleichlich, zärtlich durch die Hand“. Dabei streichelt sie sanft die Handinnenfläche der alten Dame. Ein Lächeln huscht über das Gesicht. Die 16-jährige Schülerin wiederholt das bei jedem der älteren Menschen, die in einem Stuhlkreis sitzen.
Romy Saller ist eine von dreizehn Schülerinnen der Realschule Damme, die gemeinsam mit zehn Pflegekräften im Mai an dem Workshop „Weckworte“ mit Lars Ruppel im Haus am Ohlkenberg der Stiftung Maria-Rast in Damme/Niedersachsen teilnahmen. Initiiert hatte den Workshop Matthias Stöver vom Kunst+Kultur-Kreis Damme zusammen mit Werner Westerkamp, dem Geschäftsführer der Stiftung Maria-Rast. „Unser Ziel ist es, unseren Bewohnern Abwechslung zu bieten und den Schülerinnen einen Einblick in ein mögliches zukünftiges Arbeitsfeld zu geben“, erläutert Werner Westerkamp.
Mit seinem Projekt „Weckworte“ will Lars Ruppel Lebensfreude bei dementiell erkrankten Menschen wecken. Zuerst lernen die Schülerinnen und Pflegekräfte, wie Menschen mit Demenz mit Gedichten angesprochen werden können. Als Deutscher Meister im Poetry Slam, einem Wettkampf für Nachwuchsdichter, weiß er, worauf es ankommt. Hände- und Augenkontakt, Struktur und Rhythmus spielen eine wichtige Rolle, lernen die Teilnehmer. „Wenn ein Gedicht gut vorgetragen wird, dann spüren die Zuhörer, was der Dichter gespürt hat“, sagt er.
Die Idee für „Weckworte“ kommt aus den USA. Eine Bekannte machte Lars Ruppel auf das „Alzpoetry-Projekt“ des Amerikaners Gary Glazner aufmerksam. Als er zum ersten Mal vor alten Menschen Gedichte vortrug, hatte er ein Schlüsselerlebnis. „Fest gemauert in der Erden…“, fing er an, Schillers Glocke zu zitieren, als eine Zuhörerin einstimmte; „…steht die Form aus Lehm gebrannt“. Nur dieser eine kurze Satz, dann versank sie wieder in ihre scheinbare Teilnahmslosigkeit. „Dieser eine wache Moment der Dame, bedeutete mir mehr, als der Bühnenapplaus von 5000 Zuhörern“, erinnert er sich.
Am Ende des zweistündigen Workshops suchen sich die Schülerinnen und die Mitarbeiterinnen des Altenheims jeweils ein Gedicht aus. Lars Ruppel gibt ihnen noch einige Tipps, wie sie den Vortrag mit Handlungen und Bewegungen unterstreichen können. Dann folgt die Praxis. In einem großen Stuhlkreis erwarten zehn Seniorinnen und Senioren die Poeten. Einige wirken teilnahmslos, einige eher skeptisch. Erste Berührungsängste der Schülerinnen sind schnell verflogen, denn zu Beginn schütteln sie jedem Gast persönlich die Hand. Gemeinsam mit Lars Ruppel tragen die Schülerinnen und Pflegekräfte für die Bewohner des Altenheims Gedichte vor. „Das Reh springt hoch / das Reh springt weit / warum auch nicht / es hat ja Zeit“, zitiert Lars Ruppel. „Heinz Erhardt“, ruft jemand aus dem Publikum. Beim Gedicht von Herrn von Ribbeck und seinem Birnbaum stimmen bereits die meisten Zuhörer mit ein. Lars Ruppel geht immer wieder reihum, schaut den Menschen in die Augen, schüttelt Hände, lächelt sie an.
Mit großer Leidenschaft trägt Lars Ruppel das Gedicht „Mutters Hände“ von Kurt Tucholsky vor. Kniend ergreift er die Hände der Seniorinnen während er zitiert: „Hast uns Stullen geschmiert / und Kaffee gekocht / und Töpfe rübergeschoben / und gewischt und genäht / und gemacht und gedreht / und alles mit deinen Händen.“ „Ja, genauso war das“, stimmt eine Dame zu, sichtlich glücklich über die Wertschätzung.
Auch die Schülerinnen und Pflegemitarbeiterinnen können mit ihren Gedichten punkten. Sie lesen vom „Büblein auf dem Eis“ oder von der „Morgenwonne“ von Joachim Ringelnatz und unterstreichen das Gelesene mit Gesten. Sarah Kramer hat sich das Gedicht „Was es ist“ von Erich Fried ausgesucht. Nach jeder Zeile, die sie liest, wiederholen alle: „Es ist was es ist, sagt die Liebe“.
„Die Schülerinnen haben einen ganz neuen Zugang zu Gedichten bekommen“, erklärt die Lehrerin Astrid Frühwald, die die Zehntklässler des Kurses Gesundheit und Soziales der Realschule begleitete.
Irina Lachenmaier, Leiterin des Sozialdienstes der Stiftung Maria-Rast plant, zukünftig regelmäßig Gedichte bei der Gruppenarbeit einzusetzen. Das fördere die kognitive Leistung und sei ein gutes Gedächtnistraining für die Bewohner.
Lars Ruppel und die Schülerinnen und Pflegekräfte haben an diesem Nachmittag ein Lächeln in das Gesicht der meisten Zuhörer gezaubert. Am Ende des Workshops sind sich alle einig, dass Gedichte gar nicht so ein trockener Stoff sind, wie sie bisher dachten. (Bkm)
Fotos: Klika