Musikalische Lesung „Der Zauberberg“ begeistert Dammer Publikum
Bericht vom 12. April 2016
Sieben Jahre verbringt der junge Hamburger Kaufmannssohn Hans Castorp in einem Sanatorium in den Schweizer Bergen. Dabei wollte er eigentlich nur seinen tuberkulosekranken Cousin besuchen. In dem Roman „Der Zauberberg“ hat Thomas Mann diese Lebenszeit von Hans Castorp in den Jahren 1907-1914 geschildert. Am Dienstagabend war „Der Zauberberg“ das Thema einer musikalischen Lesung in der Scheune Leiber in Damme mit dem Schauspieler und Regisseur Ralf Knapp und dem Musiker Michael Rettig am Klavier. Eingeladen zu der Veranstaltung hatte der Kunst+Kultur Kreis Damme.
Das Phänomen der Zeit stellt Ralf Knapp in den Mittelpunkt seiner Lesung, die sich auf die ersten Tage von Hans Castorp im Sanatorium und das Ende seines Aufenthalts konzentriert. In den rezitierten Textauszügen macht Ralf Knapp deutlich, wie Hans Castorp am Anfang ebenso fasziniert wie irritiert ist von der Sanatoriums-Welt mit seinen unterschiedlichen Bewohnern und dem eigenen Lebensrhythmus. Schnell lebt sich der junge Kaufmannssohn in den festen Tagesablauf aus Mahlzeiten, Liegekuren und Untersuchungen ein. Doch die gleichförmige Regelmäßigkeit der Tage verändert sein Zeitgefühl. Ralf Knapp rezitiert dazu aus Thomas Manns „Exkurs über den Zeitsinn“ in dem dieser philosophiert: „… wenn ein Tag wie alle ist, so sind alle wie einer; und bei vollkommener Einförmigkeit würde das längste Leben als ganz kurz erlebt werden und unversehens verflogen sein ….“.
Ralf Knapp versteht es, durch Mimik, Betonung, Aussprache und kleine Gesten die Handlung und die Charaktere lebendig werden zu lassen. Ganz Schauspieler, wirkt er dabei manchmal wie gefesselt an seinem Stuhl, als wolle er aufspringen und die Situationen schauspielerisch darstellen. Er schafft es, den individuellen Sprachstil des Autors mit seinen ironischen Akzenten und bildkräftigen Beschreibungen den Zuhörern verständlich näher zu bringen.
Besonders einige sprachlich reizvolle Dialoge mit dem Bewohner Lodovico Settembrini gibt Ralf Knapp in seiner Lesung wider. „Die Sprache ist genau das, was mich an den Texten von Thomas Mann fasziniert“, sagt er, der sich selbst als „Sprachfetischist“ bezeichnet. Bereits seit fünf Jahren arbeiten Ralf Knapp und Michael Rettig gemeinsam an Thomas Mann-Projekten. „Der Tod in Venedig“ oder „Buddenbrooks“ gehören zu ihrem Lesungs-Repertoire. Die Begleitmusik komponiert Michael Rettig selbst und stimmt sie auf die Melancholie und Stimmung der jeweiligen Textauszüge ab.
Den dramaturgischen Höhepunkt erreicht die Lesung mit „Der Donnerschlag“, der Hans Castorp aus der Lethargie des Sanatoriums-Daseins holt und den Beginn des ersten Weltkriegs markiert.
Für die Zuhörer war die Lesung „ein wirklicher Genuss“, wie Ulrike Kuhlmann-Warning zusammenfasste. Eine Lesung, die viel Raum für Interpretationen und zum Nachdenken lässt. (Bkm)
Fotos: Martina Böckermann